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Adolf Schärf Nachlass

Neben den Sammlungen Victor, Emma und Friedrich Adlers ist der Nachlass Schärf der sowohl qualitativ wie auch quantitativ bedeutendste Archivbestand der Sammlungen des VGA. Er umfasst insgesamt 64 Boxen und sieben weitere Kisten (mit vorwiegend persönlichen Objekten) und erstreckt sich im Wesentlichen über die Zeitspanne von 1910 bis 1965, mit Schwerpunkt auf die Zeit nach 1943. Der Nachlass besteht sowohl aus zahlreichen Schriftstücken wie etwa Artikeln, Reden, Broschüren, Protokollen, Stellungnahmen oder Urkunden, wie auch aus Fotos und Erinnerungsalben. Umfang: ca. 21,5 Laufmeter.

Verzeichnis, erstellt von Mag. Margit Sturm, 1992: pdf-folder (154 Seiten)

Adolf Schärf wurde am 20. April 1890 im südmährischen Nikolsburg als fünftes Kind einer Glasbläserfamilie, die um die Jahrhundertwende nach Wien zuzog, geboren. Mit Unterstützung der Mutter konnte er das Gymnasium in Hernals besuchen, 1914 promovierte er zum Doktor der Rechte.

   








Der Student Adolf Schärf

1915 heiratete der an der Isonzofront stationierte Offizier die Angestellte Hilde Hammer; zwei Jahre später kam ihr erstes Kind, Martha, zur Welt, im Mai 1919 ihr Sohn Reinhold.










Hilda Hammer

1919 wurde Schärf Klubsekretär der sozialdemokratischen Fraktion und von Renner in die Staatskanzlei geholt, 1931 avancierte er zum Hofrat. Im Zuge der Bürgerkriegsereignisse 1934 wurde er festgenommen, für drei Wochen im Anhaltelager Wöllersdorf interniert und seiner politischen Funktionen enthoben. Als pensionierter Parlamentsbeamter legte er 1936 die Rechtsanwaltsprüfung ab und eröffnete eine eigene Kanzlei, die er nach kurzer Haft 1938 nur unter schwierigen Bedingungen weiterführen konnte. Nach dem gescheiterten Juli-Putsch 1944 wurde Schärf abermals inhaftiert.

Bereits in den ersten Apriltagen 1945 leitete er die Reorganisierung der sozialdemokratischen Partei in die Wege. Im Dezember dieses Jahres einstimmig zum Parteivorsitzenden gewählt, gestaltete er das "neue Österreich": als Staatskanzler ohne Ressort in der provisorischen Regierung Renner und nach den ersten Wahlen im August 1945 als Vizekanzler in den Regierungen Figl und Raab. 1957 wurde Schärf in das Amt des Bundespräsidenten gewählt. 1963 für eine zweite Amtsperiode bestätigt, verstarb er in dieser Funktion am 28. Februar 1965 im 75. Lebensjahr.

Aus den im Nachlass erhaltenen Korrespondenzen, Gedächtnisprotokollen, Aufzeichnungen, Reden und Schriften ersteht das Bild des kühlen Pragmatikers, des unbeirrbaren Koalitionswächters, des peniblen Beamten. Oft beinahe unmerklich, aber umso nachhaltiger hat er in allen seinen Tätigkeitsbereichen Weichenstellungen herbeigeführt. Seine politischen Entscheidungen sind Maßstab geworden, seine Sichtweise der Geschichte der Zweiten Republik hat hegemonialen Charakter. Dennoch hat Schärf kein "geschlossenes Weltbild", kein Gedankengebäude konstruiert, das mit den theoretischen Überlegungen seiner Vorgänger auch nur annähernd vergleichbar wäre. Seine Leitideen und Handlungsmaximen waren wohl weniger visionär und dialektisch, zugleich aber auch offener und erlaubten ihm ein pragmatisches Vorgehen jenseits ideologischer Fesseln.

Eine Auseinandersetzung mit der Person Adolf Schärfs kann jedoch nicht bei den individuellen Charaktereigenschaften und intellektuellen Dispositionen stehen bleiben, sondern ist immer auch ein Teil eines Charakterbildes der Nachkriegsgesellschaft, die er so entscheidend mitgeprägt hat und für die er so typisch ist. Er hatte ein feines Sensorium für dominante Stimmungen und reagierte entsprechend vorsichtig, nie fundamental gegen den Zeitgeist.
 

Schärf war einer der Protagonisten der Großen Koalition der Wiederaufbauära. Über Widerstände in den eigenen Reihen hinweg trug er entscheidend dazu bei, dass die Zusammenarbeit der ehemaligen Bürgerkriegsparteien zwanzig Jahre dauern sollte. Dennoch stand er weder der Volkspartei noch einer der anderen Parteien vertrauensvoll gegenüber. Im Gegenteil, er wusste um den Wert umfassender Informationen; im Nachlass finden sich Stenogramme von einer Unzahl politischer Besprechungen, an denen er teilnahm, sowie Notizen und Aufzeichnungen über Personen des politischen und öffentlichen Lebens. Denn seit 1945 gab es kaum eine Parteienbesprechung, eine Regierungssitzung oder eine Staatsvertragskonferenz, in der Schärf nicht sein persönliches wörtliches Protokoll führte. Darüber hinaus recherchierte er zu allen politischen Problemen genauestens, bevor er sich eine Meinung bildete, und holte Stellungnahmen von Freunden und Regierungskollegen zu seinen Reden und Publikationen ein. So war er zweifellos der bestinformierte österreichische Politiker, und eben dieses Faktum penibler Recherche in der Tradition des josephinischen Beamtentums macht seinen Nachlass zu einer der bedeutendsten Quellen zur Geschichte der sich konstituierenden Zweiten Republik.

Karl R. Stadler hat auf Grundlage dieses Quellenmaterials die Biographie Adolf Schärf, Mensch - Politiker - Staatsmann verfasst und den Nachlass 1988 im Einvernehmen mit Frau Dr. Martha Kyrle dem Verein für Geschichte der ArbeiterInnenbewegung übergeben.


Treffen Chruschtschow - Kennedy in Wien 1961


Auszug aus den Korrespondenzen


Aus der „Isonzo-Korrespondenz“ (1915–1918) mit seiner Frau Hilda Hammer:



Wenn ich meine Rolle hier kurz kennzeichnen will, so muß ich sagen, daß ich nach allgemeiner Ansicht, das alte Deutschmeister Prinzip des Tachinierens prächtig vertrete. Keiner findet soviele Gelegenheiten zum Nichtausrücken wie ich, keiner versteht es so wie ich, sich von zuwideren Aufgaben loszuschrauben wie ich. Daher ist mein Maul ziemlich gefürchtet (...)
Es ist auch so spassig: Wenn eine Besprechung ist, richtet jeder Vorgesetzte (...) seine Worte an mich, worauf ich moralisch verpflichtet bin, ihm was zu antworten. Daher scheine ich noch einen ziemlich guten Ruf zu haben. Aus meiner Friedenssehnsucht mache ich natürlich kein Hehl, alle geben mir recht, aber selbst zu reden trauen sich nur wenige.

(Brief vom 8. Feb. 1916, VGA, Schärf-Nachlass, Schachtel 1.2.2., Sig. 1.2.2.05)


Feldkorrespondenzkarte vom 8.12.1916
(Schachtel 1.2.2., Sig. 1.2.2.13)

Aus einem Brief an Karl Renner 1947:

Ich glaube, für vieles von dem, was ich heute tue und wie ich es tue, ist die Erfahrung maßgebend, die ich in den Jahren von 1918 an gewinnen konnte. Ich war damals auf einem nach außen hin nicht viel sichtbaren Platz und ich habe trotzdem eine außerordentlich große Wirksamkeit entfaltet - Du weißt ja, daß kaum eine Interpellation oder ein Antrag aus der Zeit zwischen 1918 und 1934 im Nationalrat oder Bundesrat eingebracht worden ist, die nicht von mir herrührten oder zumindest redigiert worden waren. Ich habe durch meine Anwesenheit im Klub und im Parteivorstand und gerade durch die Tatsache, daß ich selbst keine Rolle spielte, also verhältnismäßig kühl die Dinge verfolgen konnte, einen Einblick in die Triebferdern politischen Handelns gewonnen, wie selten ein anderer.

Aus einem Brief an Oskar Helmer:

L i e b e r   O s k a r !   1 6.   J u l i   1 9 5 6  (...) Ich erinnere mich an das Jahr 1934 im Kaffee Herrenhof, an unsere Zusammenkünfte während des nächsten Jahrzehnts und an Deine Ratschläge vor dem April 1945. Es ist eigentlich doch alles besser und schöner ausgegangen, als man es sich damals denken konnte - es sind nun schon mehr als 14 Jahre seit jenen trüben Tagen vorbei, da nur ein bißchen Morgenröte am Himmel stand. In der Partei standen wir zusammen und die Einigkeit im kleinen Kreis war die Voraussetzung der großen Erfolge.
(Box 44, Sig. 4/288)

An den französischen Ministerpräsidenten Leon Blum im Dezember 1949 :

Ich höre, daß man über österreichische Äußerungen verwundert ist, wonach wir für die Zeit nach der Befreiung an politische Neutralität denken wollen. Wir sind uns darüber im klaren, daß ein militärisch schwaches Österreich - und Österreich muß militärisch schwach bleiben - ein Vakuum vorstellt, durch das man binnen weniger Tage aus der ungarischen Tiefebene bis an den Bodensee gelangen kann; wir wissen, daß wir die Einordnung in ein größeres politisches und vermutlich auch militärisches System brauchen; aber ich glaube, es wäre unmöglich, in einem Zustand der Viermächtebesetzung etwa öffentlich zu erklären, wir wollen dem Atlantikpakt beitreten, wenn wir frei sind - da die Russen den Atlantikpakt als gegen sich gerichtet ansehen, wäre eine solche österreichische Erklärung der gewünschte Vorwand, um die Räumung zu vereiteln.
(VGA, Schärf-Nachlass, Box 31, Sig. 4/222)

Aus den Tagebüchern des Bundespräsidenten:

"Im Herbst und mit Beginn des Winters (1957) wurde es für mich klar. das neue Amt hat mich aus dem Kreis der Freunde von einst, aus dem intimen Verhältnis zu ihnen heraus- oder hinaufgehoben. Ich bin so einsam, wie ich es nie in meinem Leben gewesen bin. ( ... ) Mehr als je geht mir Hilda ab; sie war eine gute Beraterin und sie verstand es, das Leben mit mir zu leben. Martha ist doch in den Kreis einer anderen Familie hereingewachsen; ich glaube, wenn ich ihr Familienglück nicht gefährden will, darf ich sie nicht noch mehr für mich in Anspruch nehmen als bisher - das mag viel sein, ist aber doch kein Ersatz für Hilda!"

Nachlass-Verzeichnis, erstellt von Mag. Margit Sturm, 1992: 
pdf-folder (154 Seiten)