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Victor Adler - Friedrich Engels

Korrespondenz

 

 
     
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Friedrich Engels an Victor Adler
in Wien
London, Mittwoch, 4. Dezember 1889

 

London, 4. Dezbr 89

Lieber Adler

Den Cloots von Avenel habe ich Dir aus folgenden Gründen zur Bearbeitung empfohlen:
Nach meiner (& Marx’) Ansicht enthält das Buch die erste auf archivalische Studien gestützte, richtige Darstellung speciell der kritischen Epoche der Franz. Revolution, nämlich die Zeit vom 10 Aug. bis 9 Thermidor.
Die pariser Commüne & Cloots waren für den Propagandakrieg als einziges Rettungsmittel, während das Comité de Salut public staatsmännerte, Angst hatte vor der europ. Coalition, Frieden suchte durch Theilung der Koalirten. Danton wollte Frieden mit England, d. h. Fox & der engl. Opposition die bei den Wahlen ans Ruder zu kommen hoffte. Robespierre mogelte in Basel mit Oestreich & Preußen & wollte mit diesen sich arrangiren. Beide gingen zusammen gegen die Commüne, um vor allen Dingen die Leute zu stürzen die den Propagandakrieg, die Republikanisirung Europas wollten. Das gelang, die Commüne (Hébert, Cloots &c.) wurde geköpft. Von da an aber wurde Friede unmöglich zwischen denen die mit England allein, & denen die mit den deutschen Mächten allein Frieden schließen wollten. Die engl. Wahlen fielen zu Gunsten Pitts aus, Fox war auf Jahrelang von der Regierung ausgeschlossen, das ruinirte Dantons Stellung, Robespierre siegte & köpfte ihn. Aber – und diesen Punkt hat Avenel nicht hinreichend hervorgehoben – während nun die Schreckensherrschaft bis ins Wahnsinnige gesteigert wurde weil sie nothwendig war um Robespierre unter den bestehenden inneren Bedingungen am Ruder zu erhalten, wurde sie total überflüssig durch den Sieg von Fleurus, 24 Juni 94 der nicht nur die Grenzen befreite sondern Belgien & indirekt das linke Rheinufer an Frankreich überlieferte, & da wurde Robespierre auch überflüssig, & fiel 24. Juli.
Die ganze Franz. Rev. wird beherrscht vom Koalitionskrieg, alle ihre Pulsationen hängen davon ab. Dringt die Coalitionsarmee in Frankreich ein – Überwiegen des Vagus, heftiger Herzschlag, revolutionäre Krisis. Muß sie fort, dann überwiegt der Sympathicus, der Herzschlag verlangsamt sich, die reaktionären Elemente drängen sich wieder in den Vordergrund, die Plebejer, die Anfänge des späteren Proletariats, deren Energie allein die Revolution gerettet, werden zur Raison & zur Ordnung gebracht.
Die Tragik ist daß die Partei des Kriegs à outrance, des Kriegs um die Völkerbefreiung, Recht behält & daß die Republik mit ganz Europa fertig wird, aber erst nachdem diese Partei selbst längst geköpft, & statt des Propagandakriegs nun }der Baseler Friede & die Bourgeoisorgie des Direktoriums kommt.
Das Buch muß total umgearbeitet & gekürzt werden – die Deklamiererei muß heraus, die Thatsachen aus den gewöhnlichen Geschichtsbüchern ergänzt & klar hervorgehoben werden. Cloots kann dabei ganz in den Hintergrund treten; aus den Lundis révolut. können die wichtigsten Sachen eingeschoben werden – so kann's ein Werk über die Revol. werden wie bis jetzt keins existirt.
Die Darlegung wie die Schlacht von Fleurus die Schreckensherrschaft stürzte, ist gegeben 1842 in der (ersten) Rheinischen Zeitung von C.F. Köppen in einer ausgezeichneten Kritik von H. Leo’s Gesch. der franz.Revolution.Grüß Deine Frau & Luise Kautsky vielmals.

 

Dein
F. Engels

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Victor Adler an Friedrich Engels
In London
Wien, Dienstag, 21. Januar 1890


{BrDritte}|Wien, 21/1 90.

Verehrter Freund!

Du hast so gegründete Veranlassung mir böse zu sein, daß ich meinen Brief mit sehr langen Erklärungen beginnen sollte. Die mir so unerwartet freundliche Aufnahme im Sommer, Dein ausführlicher Brief im Dezember, ja sogar Deine Neujahrskarte haben mir bis jetzt kein Wort abringen können. Was mich entschuldigt, ist eine Zerrissenheit meiner ganzen Zeit u Arbeitsmöglichkeit, die mir keine Muße läßt, ausführlich über Dinge zu schreiben, die Dich vermutlich interessieren u. nur ausführlich wollte ich Dir schreiben. Da ich nun sehe, daß ich dazu nicht komme, so will ich wenigstens ein Lebenszeichen von mir geben. Die Verschleppung meiner Haft, die ins Unglaubliche geht (am 7 Decemb. hat der Oberste Gerichtshof entschieden u noch heute habe ich keine Zustellung), läßt mich so schwer zu etwas Vernünftigem kommen. Diese Esel meinen, ich werde am 1. Mai mit Bomben im Sack in den Prater spazieren gehen, u wollen mich durchaus an dem Tage drin haben – – Nun lebe ich seit dem Sommer im Provisorium; dazu eine Menge widerwärtiger Privatgeschäfte – es ist zum davon Laufen. Der Lichtpunkt sind die Parteiverhältnisse. Nicht nur, daß die letzte Spur von Anarchisterei verschwunden ist, haben wir ihre Hauptquelle verstopft, da der Polizeirat Frankl, das Haupt der Lockspitzel von uns endlich weggeschimpft wurde. Derlei ist auch nur in Oesterreich möglich, wo nicht einmal Niedertracht u Polizeiperfidie ordentlich gemacht werden, alle Behörden untereinander Krieg führen u es möglich ist ihre Eifersucht aus zu nützen – dabei ist das politische Ansehen der Partei nach außen sehr gewachsen u. unter den Arbeitern so groß wie nie zuvor. Alle Organisationen, die geschaffen waren uns umzubringen, sind in unseren Händen; alle Blätter, die schlechtesten Preßerzeugnisse werden massenhaft abgesetzt; ja sogar die guten wachsen riesig; „riesig“ für unsere Verhältnisse. Die „Arbeit. Zeit.“ hat 9 000 Auflage; vor einem Jahre die Gleichheit 5 000 – die Schwierigkeit ist nur, die Leute zu beschäftigen u wach zu erhalten – ohne Wahlrecht.
Nun werden in gar nicht ferner Zukunft unsere politischen Verhältnisse ein neues Gesicht bekommen. Der berühmte „Ausgleich“ bedeutet, daß wir statt nationaler Parteien endlich Tory’s und Whigs, freilich mit ganz anderen Kampfpunkten, Programmen etc erhalten. Du siehst, ich habe die Bedeutung der jungtschechischen Wahlsiege im Sommer nicht übertrieben. Der „Ausgleich“ ist die direkte Folge davon. Ich erwartete ihn nach den Wahlen (Sommer 91); die Kerle fürchten aber gerade die Wahlen u darum schon heute ||die geänderte Lage. Vor allem hat der Kaiser gedrückt, der fest behauptet: binnen allerlängstens zwei Jahren haben wir Krieg mit Rußland, u der vorher Ordnung haben will. Er glaubt so sicher an den Sieg, daß er Verfassungsänderungen hinausschieben will, bis ein gutes Stück Russisch-Polen mit„geregelt“ werden kann. Für uns ist es nun außerordentlich günstig, wenn die Nationalitätenfrage in den Hintergrund tritt. Wir können ihr gegenüber nichts tun als unsere Internationalität || betonen, u das ist auf die Dauer sehr langweilig. Die Impotenz der großen Parteien tritt aber dann erst recht in helles Licht, wenn sie sich an die anderen Fragen werden machen müssen. Außerdem dürften wir Reformen, wenn nicht Wahlrecht, doch Preß, Versammlungs u Vereinsrecht ergattern – –; obwohl ich nicht allzuviel erwarte, ist jede kleinste Konzession schon ein Riesengewinn – Wenn nur der industrielle „Aufschwung“ einige Zeit hält; das ist für uns das Wichtigste. – –
Deinen Rat, den ((nAvenel)) zu ||bearbeiten, nehme ich mit großem Danke an. Was mir fehlt, werde ich wohl erst im Verlauf der Arbeit sehen u. bitte Dich im Vorhinein um weitere Beihilfe – die Lectures on marriage (Owen) werde ich jedenfalls übersetzen u mich dabei umsehen ob ich das von Dietz längst gewünschte Buch nicht doch fertig kriege. Was mich abhält ist, daß ich eine Arbeit à la Bebel - Fourier nicht machen will, weil ich sie für wertlos halte; für eine Leistung à la Kautsky - Morus aber mein Wissen kaum ausreicht. Vielleicht komme ich aus dem Dilemma heraus!
Kautsky habe ich gestern gesehen; bis dahin wußte ich offiziell nicht, daß er da sei. Er hat Influenza gehabt (unter der wir übrigens zu Neujahr alle gelitten haben) u sieht elend aus. Ich freue mich herzlich von ihm zu hören, daß Du wohl u arbeitslustig bist, wie je zuvor. Du wirst es nicht übelnehmen, wenn ich Dir einmal ausdrücklich sage, wie wir in Oesterreich alle an Dir hängen u wie wir, ich vor allem, davon durchdrungen sind, was wir Dir zu danken haben. In einem Sinne Dir mehr, oder sagen wir: Anderes als Marx Politik und Taktik. Anwendung der Theorie in corpore vivo. – –
Hoffentlich kriegen wir bald den III. Band u. wirst Du auch diese Riesenarbeit bewältigen um den Kopf frei zu bekommen für andere Arbeiten – –
Von Louise kann ich melden, daß sie in Rekonvalescenz ist. Die schwere Wunde vernarbt langsam, aber sie vernarbt. Sie ist viel bei uns u ich hoffe, daß sie auch bald wieder mehr zu tun kriegt, was ihr in jedem Sinne gut täte.
In der Anlage findest Du zwei Exemplare von der Photografie Marx, die ich nach dem Bilde, das mir Frau Laura anvertraut, vervielfältigen ließ. Da ich glaube, daß Du sie nicht hast, so sende ich sie. Gib eines Deiner sorglichen Hausfrau, deren ich dankbar gedenke u die ich herzlich zu grüßen bitte. Ebenso folgen von meiner Frau herzliche Grüße an Dich u sie. Dein

 

Dr V Adler

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Victor Adler an Friedrich Engels
in London
Lunz, 25. August 1892


Lunz, 25./8. 1892

Verehrter Freund!

Von einer kleinen Partie zurück, finde ich Deinen Brief vor. Wie sehr es uns alle schmerzt, daß Du nicht kommst, kannst Du Dir denken; u. dazu kommt noch der traurige Anlaß. Luise hätte Dich nur gleich mitnehmen sollen! Und wir hatten uns schon so sehr darauf gefreut. Emma ist noch lange nicht normal u. noch ziemlich in ihren hypochondrischen Vorstellungen eingesponnen; aber Dich kennenzulernen ist einer der wenigen Wünsche, die sie hat.//Nun, wir hoffen auf nächstes Jahr! Obwohl ich nicht absehen kann, warum Du nicht auch noch im September herüberkommen könntest. Wenn auch nicht die Alpen — außer im Süden — so müßte doch die Consultation eines Arztes Grund genug sein — von uns selber zu schweigen! In Wien sind sowohl Billroth als insbesondere Albert in allen Darm- u. Herniensachen ganz spezielle Autoritäten und ist es geradezu unverantwortlich von Dir, Dich, wie Du das schilderst, irgendeinem Günstling Deines Hausarztes zu überlassen. Im Falle Du ich also entschließt, // Luise in Berlin abzuholen, bitte ich Dich inständig, das in W i e n zu tun. Die Differenz der Reise ist nicht der Rede wert u es giebt in Berlin niemanden, der sich mit Albert an spezieller Erfahrung messen kann. Daß es höchst ungerecht gegen uns wäre, Wenn Du Wien links liegen ließest, wirst Du wohl selbst einsehen. Andererseits möchte ich als Arzt — ungeschauter, wie wir sagen — dringend abraten, zu reisen, bevor Du frei bist von allen lokalen Reizerscheinungen. Aber, es besteht ja kein Hindernis, daß Du Luise etwa am 15. Sept od. noch eine Woche später holst. Das ist für Wien // die schönste Zeit, während es jetzt gerade grauenhaft heiß ist.
Ich fahre morgend nach Salzburg, hole dort August u. besehe mir einen bemerkenswerten und vielversprechenden Fang, den die Partei gemacht zu haben scheint. Ein landwirtschaftlicher Wanderlehrer, offiziell vom Landesauschuße angestellt, wird seit Monaten wegen seiner sozialdemokratischen Vorträge, wozu er seine Amtsstellung benützt, geschurigelt. Der Mann giebt einen guten Teil seines Gehalts her, um ein Parteiblatt zu halten, u. schreibt es z.T. selbst. Nun ist das Interessante, daß der Mann via Henry George zu uns kommt; er har auch // noch die Eierschalen an den Flügeln kleben. Nun will ich sehen, ob er gar ist. Für uns wäre er unbezahlbar. Bei uns u in Deutschland reden sie so viel von „Landagitation“, u. alle miteinander verstehen wir gar nichts davon. Da wäre ein theoretisch u. praktisch erfahrener Landwirt, der überdies reden kann, eine glänzende Akquisition.
Von uns kann ich Dir das beste berichten. Die neue Organisation wird sich bewähren, so scheint es, u. die „Unabhängigen“ blamieren sich bei uns weit mehr als in Deutschland. Wir haben ihnen auch kein so gutes Material geliefert wie Liebknechts Reden, aus denen jetzt die Jungen u n d Vollmar Kapital schlagen. Tragikomisch ist das Schick // sal Kautskys; daß gerade er sich für des alten Gewäsche verhauen lassen muß, ist besonderes Pech. Dabei konnte er ja nicht ruhig sagen: „Daß L. diesen oder noch größeren Unsinn gesagt hat, will ich unbesehen gerne glauben!!“ Und doch wäre das der wahre Ausdruck seiner Ansicht gewesen. Der Alte fängt an direkt eine nuisance — u. zwar eine internationale — für die Partei zu werden. Sowohl mit Domela als mit Vollmar hat er höchst ungeschickt angebunden u. dann den Karren im Dreck sitzen lassen. Persönlich zu rempeln ist dort am dümmsten, wo die Leute p e r s ö n l i c h beliebt sind, während rei sachliche, sehr nüchterne und kühle Erörterung schließlich // auch die Personen aus dem Sattel hebt. Ich denke daran, eine Broschüre über Taktik zu schreiben „Domela — Vollmar“, wobei mich nur geniert, daß der Alte schlecht wegkäme. Aber auch er würde andererseits profitieren; denn es läßt sich m.E. nachweisen, daß alle die vermeintlichen Schwankungen der Taktik h i s t o r i s c h sehr erklärbar u. begründbar sind. Liebknechts broschüre „Pol. Stellung der Sozialdemokratie“, die von den Unabhängigen zitiert wird, ist eben auf dem Boden Deiner Broschüre über Militärorganisation in Preußen (habe momentan wohl den Inhalt, aber nicht den Titel im Gedächtnis), erwachsen u. haut natürlich über die Schnur, was Liebknecht stets tut. Aber die Kritiker der Taktik glauben immer, sie sei, oder // könne sein eine gerade Linie, während sie eine Wellenlinie sein muß, gerade wie die Weltgeschichte. Im übrigen meine ich, die Opposition von links müßte erfunden werden, wenn man sie nicht hätte; nur würde man sie um eine Nuance gescheiter u. anständiger erfinden. Denn die Kleinbürgerei ist die größte Gefahr für uns, u. wenn August nicht wäre, stünde es böse mit uns, auch mit uns in Oesterreich. Die Trägheit des geistes ist die ärgste Gefahr für unsere Leute. Ich meine immer, der krach wird uns über den Hals kommen, wenn wir „Hofräte der Revolution(“) am wenigsten daran denken. Obwohl ich freilich gerne wüßte, warum Du gerade das Jahr 1898 genannt hast!! Ich stecke // hier in solchen Verhältnissen, daß ich vor einer vorzeitigen Explosion am Meisten fürchte; sie würde uns um Jahrzehnte zurückwerfen. Bleiben wir ungestört, dann werden wir keine üble Rolle spielen. Unser Volk — Deutsche und Tschechen, mit den anderen ist nicht viel los — ist geradezu glänzend veranlagt u. nur die verdammte Jesuiterei durch Jahrhunderte macht, daß wir als Anhängsel und Nachtrab der europäischen Bewegung figurieren. Die ökonomische Rückständigkeit des Landes schwindet, man kann sagen, stündlich mehr und wir haben den Vorzug, daß unser Proletariat durch die Nachbarschaft Deutschlands der ökonomischen Entwicklung geistig voruas ist, Wichtig ist auch. Daß unser Hinterland // Ungar sehr vorschreitet; die Industrie wird dort staatlich gezüchtet u. der Nährboden für unsere Bewegung offiziell verbreitert u. unter nationaler Fieberhitze gehalten. Das ist um so wichtiger, als uns aus Ungarn die Slowaken kommen u. den Standard of life immer wieder herabdrücken; nun werden sie dort verbraucht werden u. bald ganz andere Leute sein. — —
Die „Lage“ habe ich noch nicht zu Gesicht bekommen, gratuliere Dir aber zum Erscheinen. Wenn Du nur alle Deine zerstreuten Aufsätze sammeln wolltest u. die von Marx, das gäbe ja wenig Arbeit u. wäre riesig wichtig. — — Von der „Lage“ // habe ich persönlich den Profit schon eingesteckt. Du weißt vielleicht gar nicht, daß August, der hörte, daß ich in Nöten sei, Dietz veranlaßte, mir auch die zweite Rate auszubezahlen, so daß ich Dir für 1000 Mk. zu danken habe. Ich kann Dir nur sagen, daß mich dieses Geld geradezu erhoben har — abgesehen von der wirksamen Beihilfe — ich betrachte es als ein Ehrenzeugnis u. hoffe Deiner Freundschaft und Anerkennung auch weiterhin würdig zu bleiben.
Mit Emma steht es so: der Zustand ist noch immer traurig genug; der Verlauf durchaus befriedigend. Es geht in den obligaten monatlichen Schwankungen regelrecht vorwärts. Daß die Arme noch immer leidet, ist wahr; aber gerade in dem allmäligen Abklingen liegt eine Garantie dafür — nach allen Erfahrungen — daß wir vor Recidiven sicher sind.
Von Emma und Storfers herzliche Grüsse sowie von deinem getreuen Victor Adler Eben lese ich, daß in Hamburg starke Cholera ist. Also morgen in Berlin und nächste Woche in Wien! Du kommst als vernünftigerweise jetzt n i c h t!!

 

 

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Friedrich Engels an Victor Adler
In Wien
London, 20. März 1894

 

London 20. März 1894
122, Regent’s Park Road, N.W

Lieber Victor

Vor einiger Zeit frugst Du mich an wegen Übersetzung des Artikels in der „Critica Soziale“ über die Lage etc. Italiens. Louise antwortete gleich auf einer Postkarte in meinem Namen that you were welcome to it und ich bestätigte dies wenige Tage darauf in einem Brief an Dich. Bald darauf kam eine Anfrage von K.K. ob ich ihm das Ding für die N. Zeit überlassen wolle. Darauf antwortete ich ihm, Du habest es ihm weggeschnappt.
Seitdem aber ist der Artikel nicht in der Arb.-Ztg. erschienen, und ich komme daher in Verlegenheit gegenüber K.K. Ich möchte Dich also bitten mir zu sagen, wie es damit steht. Ich komme mir allerdings dabei vor wie die englische Zimmervermieterin die im Besitz einerseits einer heiratslüsternen Tochter und andererseits eines rührungsfähigen deutschen „Chambregarnisten“ ist, und die bei der ersten Spur einer flirtation diesen letzteren fragt: what are your intentions with regard to my daughter? aber // die Dir von K.K. eröffnete Konkurrenz muß mich entschuldigen.
Hier geht’s auf die Neuwahl los, alles was geschieht, geschieht nur in Vorbereitung darauf. Die Liberalen sind wie gewöhnlich feig. Sie müssen wissen, daß sie sich nur halten können durch Stärkung der politischen Macht der Arbeiter, und doch zaudern, zippeln und zappeln sie ängstlich. Weder entschiedene Ausdehnung des Stimmrechts, noch Beseitigung des Wählbarkeitszensus, der in der Belastung der Kandidaten mit allen Wahlkosten und in der Diätenlosigkeit liegt, noch Ermöglichung der Aufstellung dritter Kandidaten (außerhalb denen der beiden offiziellen Parteien) durch Stichwahl. Dabei soll dann das House der Lords abgeschafft werden, aber kein Schritt geschieht um ein Unterhaus zu schaffen, das dazu Mut und Fähigkeit besitzt. Andererseits machen die Tories Dummheiten über Dummheiten, sie haben zwei Jahre lang das ganze Parlament in eine Farce verwandelt, unter dem Vorwand die Homerule kaput zu machen, haben mit den Liberalen, die sich dies gefallen ließen, das reinste Schindluder getrieben, und setzen dies, wie gestern Abend Randy Churchill bewies, auch jetzt noch fort, obwohl // das bei dem Herannahen der Wahlen gefährlich wird und den britischen friedlichen Philister arg in seinem konservativen Vertrauen erschüttern könnte. Auch hat Salisbury bei der Parish Council Bill versucht seinen unionistischen. Liberalen Allierten Devonshire und Chamberlain einen argen Streich zu spielen und sie zu puren Torymaßregeln auszubeuten, so daß diese Allianz auch nicht mehr so fest wie einst. Kurz die Sache wird arg konfus und bis jetzt ist schwer zu raten wie’s verlaufen wird.
Zu der Art wie Du den Generalstrike in Schlummer gewiegt hast gratuliere ich Dir, aber auch nicht minder zu deinen Artikeln über die Koalitionswahlreform und die ganze Lage in Oesterreich. Namentlich der in der Nummer vom 6. ds. war brillant. Ich zweifle keinen Augenblick am glänzenden Verlauf Eures Parteitages, grüße alle Freunde, auch August und Paul Singer und Gerisch wenn sie dort hinkommen.
Viele Grüße von Louise und Deinem

 

F.E.

 

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Auszug:

Friedrich Engels an Victor Adler
In Wien
London, 17. Juli 1894


{BrDritte}|Wien, 21/1 90.

[...]

Ihr steht in einer aufsteigenden politischen Bewegung; Wahlreform ist Euch sicher, und schon der Kampf um ein solches Ziel, um einen unmittelbaren politischen Fortschritt, ist ein enormer Vorteil für Euer Blatt; die Wahlreform aber ist nur der Anstoß, der den Stein ins Rollen bringt und andere Konzessionen wegen Presse, Vereinen, Versammlungen, Gerichtspraxis etc. zur Folge haben muß. Kurz Ihr seid in der Offensive, und zwar in einer, die zunächst noch des Sieges gewiß ist. Dagegen in Frankreich, Deutschland, Italien stehen unsere Leute in einer nicht einmal immer hoffnungsvollen Defensive, haben den Ansturm einer sich immer stärker aus den verschiedensten Parteien zusammenballenden Reaktion auszuhalten. Es ist das Beweis – wenigstens in Deutschland – daß die Unseren eine wirkliche Großmacht im Lande geworden, und in Frankreich ist’s Beweis, daß man auf diesem revolutionär unterwühlten Boden die Unseren wenigstens für eine Großmacht hält. Aber bei alledem ist Eure Lage für den Kampf momentan günstiger – Ihr greift an, erobert Schritt für Schritt Terrain, jeder errungene und besetzte neue Bodenabschnitt stärkt nicht nur Eure Stellung sondern führt Euch Massen neuer Verstärkungen zu; bei Eurem primitiven Konstitutionalismus können die Arbeiter wenigstens noch einige der Positionen erobern, und das auf gesetzlichem Weg, also auf dem Weg, der sie selbst politisch schult – der Positionen, die die Bourgeoisie hätte erobern sollen.

[Auch bei uns gibt’s noch solche Positionen, aber die kriegen wir erst, wenn ein // Anstoß von außen kommt, von einem Land, wo die Verquickung der alten feudalen, bürokratischen, polizeilichen Formen mit [Variante] annähernd modernen bürgerlichen Institutionen den ersteren ein so starkes Übergewicht gelassen, daß die Situation zu unmöglichen Verwicklungen führt. – ???]

Und in dieser glücklichen Lage seid Ihr, und in der noch glücklicheren, daß Eure Arbeiterbewegung groß und stark genug ist hier die Entscheidung zu geben, und damit wie ich hoffe, für Deutschland, Frankreich und Italien den Anstoß der dort nötig ist um die viel zu früh sich bildende „eine reaktionäre Masse“ momentan wiederum zu sprengen, und statt des chronischen reaktionären Drucks einige bürgerliche Reformen im Sinne der Bewegungsfreiheit der Massen ins Leben zu rufen. Erst von dem Tage an, wo Ihr die – einerlei welche – Wahlreform erkämpft, erst von da an hat eine Agitation gegen die Dreiklassenwahl in Preußen einen Sinn. Und schon jetzt hat die Tatsache daß es in Österreich eine Wahlreform irgendeiner Art geben wird, das bedrohte allgemeine Stimmrecht in Deutschland sichergestellt. Ihr habt also in diesem Moment eine sehr bedeutende historische Mission. Ihr sollt die Avantgarde des europäischen Proletariats bilden, die allgemeinen Offensive einleiten, die hoffentlich nicht wieder ins Stocken kommt bis wir den Sieg auf der ganzen Linie errungen – und Du sollst diese Avantgarde führen – wenn Du da nicht baldigst auf Land gehst und Dich ausgiebig mit neuen Kräften versorgst, dann versäumst Du Deine erste Pflicht. 

 

[...]

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