Von einer kleinen Partie zurück, finde ich Deinen Brief vor. Wie sehr es uns alle schmerzt, daß Du nicht kommst, kannst Du Dir denken; u. dazu kommt noch der traurige Anlaß. Luise hätte Dich nur gleich mitnehmen sollen! Und wir hatten uns schon so sehr darauf gefreut. Emma ist noch lange nicht normal u. noch ziemlich in ihren hypochondrischen Vorstellungen eingesponnen; aber Dich kennenzulernen ist einer der wenigen Wünsche, die sie hat.//Nun, wir hoffen auf nächstes Jahr! Obwohl ich nicht absehen kann, warum Du nicht auch noch im September herüberkommen könntest. Wenn auch nicht die Alpen — außer im Süden — so müßte doch die Consultation eines Arztes Grund genug sein — von uns selber zu schweigen! In Wien sind sowohl Billroth als insbesondere Albert in allen Darm- u. Herniensachen ganz spezielle Autoritäten und ist es geradezu unverantwortlich von Dir, Dich, wie Du das schilderst, irgendeinem Günstling Deines Hausarztes zu überlassen. Im Falle Du ich also entschließt, // Luise in Berlin abzuholen, bitte ich Dich inständig, das in W i e n zu tun. Die Differenz der Reise ist nicht der Rede wert u es giebt in Berlin niemanden, der sich mit Albert an spezieller Erfahrung messen kann. Daß es höchst ungerecht gegen uns wäre, Wenn Du Wien links liegen ließest, wirst Du wohl selbst einsehen. Andererseits möchte ich als Arzt — ungeschauter, wie wir sagen — dringend abraten, zu reisen, bevor Du frei bist von allen lokalen Reizerscheinungen. Aber, es besteht ja kein Hindernis, daß Du Luise etwa am 15. Sept od. noch eine Woche später holst. Das ist für Wien // die schönste Zeit, während es jetzt gerade grauenhaft heiß ist.
Ich fahre morgend nach Salzburg, hole dort August u. besehe mir einen bemerkenswerten und vielversprechenden Fang, den die Partei gemacht zu haben scheint. Ein landwirtschaftlicher Wanderlehrer, offiziell vom Landesauschuße angestellt, wird seit Monaten wegen seiner sozialdemokratischen Vorträge, wozu er seine Amtsstellung benützt, geschurigelt. Der Mann giebt einen guten Teil seines Gehalts her, um ein Parteiblatt zu halten, u. schreibt es z.T. selbst. Nun ist das Interessante, daß der Mann via Henry George zu uns kommt; er har auch // noch die Eierschalen an den Flügeln kleben. Nun will ich sehen, ob er gar ist. Für uns wäre er unbezahlbar. Bei uns u in Deutschland reden sie so viel von „Landagitation“, u. alle miteinander verstehen wir gar nichts davon. Da wäre ein theoretisch u. praktisch erfahrener Landwirt, der überdies reden kann, eine glänzende Akquisition.
Von uns kann ich Dir das beste berichten. Die neue Organisation wird sich bewähren, so scheint es, u. die „Unabhängigen“ blamieren sich bei uns weit mehr als in Deutschland. Wir haben ihnen auch kein so gutes Material geliefert wie Liebknechts Reden, aus denen jetzt die Jungen u n d Vollmar Kapital schlagen. Tragikomisch ist das Schick // sal Kautskys; daß gerade er sich für des alten Gewäsche verhauen lassen muß, ist besonderes Pech. Dabei konnte er ja nicht ruhig sagen: „Daß L. diesen oder noch größeren Unsinn gesagt hat, will ich unbesehen gerne glauben!!“ Und doch wäre das der wahre Ausdruck seiner Ansicht gewesen. Der Alte fängt an direkt eine nuisance — u. zwar eine internationale — für die Partei zu werden. Sowohl mit Domela als mit Vollmar hat er höchst ungeschickt angebunden u. dann den Karren im Dreck sitzen lassen. Persönlich zu rempeln ist dort am dümmsten, wo die Leute p e r s ö n l i c h beliebt sind, während rei sachliche, sehr nüchterne und kühle Erörterung schließlich // auch die Personen aus dem Sattel hebt. Ich denke daran, eine Broschüre über Taktik zu schreiben „Domela — Vollmar“, wobei mich nur geniert, daß der Alte schlecht wegkäme. Aber auch er würde andererseits profitieren; denn es läßt sich m.E. nachweisen, daß alle die vermeintlichen Schwankungen der Taktik h i s t o r i s c h sehr erklärbar u. begründbar sind. Liebknechts broschüre „Pol. Stellung der Sozialdemokratie“, die von den Unabhängigen zitiert wird, ist eben auf dem Boden Deiner Broschüre über Militärorganisation in Preußen (habe momentan wohl den Inhalt, aber nicht den Titel im Gedächtnis), erwachsen u. haut natürlich über die Schnur, was Liebknecht stets tut. Aber die Kritiker der Taktik glauben immer, sie sei, oder // könne sein eine gerade Linie, während sie eine Wellenlinie sein muß, gerade wie die Weltgeschichte. Im übrigen meine ich, die Opposition von links müßte erfunden werden, wenn man sie nicht hätte; nur würde man sie um eine Nuance gescheiter u. anständiger erfinden. Denn die Kleinbürgerei ist die größte Gefahr für uns, u. wenn August nicht wäre, stünde es böse mit uns, auch mit uns in Oesterreich. Die Trägheit des geistes ist die ärgste Gefahr für unsere Leute. Ich meine immer, der krach wird uns über den Hals kommen, wenn wir „Hofräte der Revolution(“) am wenigsten daran denken. Obwohl ich freilich gerne wüßte, warum Du gerade das Jahr 1898 genannt hast!! Ich stecke // hier in solchen Verhältnissen, daß ich vor einer vorzeitigen Explosion am Meisten fürchte; sie würde uns um Jahrzehnte zurückwerfen. Bleiben wir ungestört, dann werden wir keine üble Rolle spielen. Unser Volk — Deutsche und Tschechen, mit den anderen ist nicht viel los — ist geradezu glänzend veranlagt u. nur die verdammte Jesuiterei durch Jahrhunderte macht, daß wir als Anhängsel und Nachtrab der europäischen Bewegung figurieren. Die ökonomische Rückständigkeit des Landes schwindet, man kann sagen, stündlich mehr und wir haben den Vorzug, daß unser Proletariat durch die Nachbarschaft Deutschlands der ökonomischen Entwicklung geistig voruas ist, Wichtig ist auch. Daß unser Hinterland // Ungar sehr vorschreitet; die Industrie wird dort staatlich gezüchtet u. der Nährboden für unsere Bewegung offiziell verbreitert u. unter nationaler Fieberhitze gehalten. Das ist um so wichtiger, als uns aus Ungarn die Slowaken kommen u. den Standard of life immer wieder herabdrücken; nun werden sie dort verbraucht werden u. bald ganz andere Leute sein. — —
Die „Lage“ habe ich noch nicht zu Gesicht bekommen, gratuliere Dir aber zum Erscheinen. Wenn Du nur alle Deine zerstreuten Aufsätze sammeln wolltest u. die von Marx, das gäbe ja wenig Arbeit u. wäre riesig wichtig. — — Von der „Lage“ // habe ich persönlich den Profit schon eingesteckt. Du weißt vielleicht gar nicht, daß August, der hörte, daß ich in Nöten sei, Dietz veranlaßte, mir auch die zweite Rate auszubezahlen, so daß ich Dir für 1000 Mk. zu danken habe. Ich kann Dir nur sagen, daß mich dieses Geld geradezu erhoben har — abgesehen von der wirksamen Beihilfe — ich betrachte es als ein Ehrenzeugnis u. hoffe Deiner Freundschaft und Anerkennung auch weiterhin würdig zu bleiben.
Mit Emma steht es so: der Zustand ist noch immer traurig genug; der Verlauf durchaus befriedigend. Es geht in den obligaten monatlichen Schwankungen regelrecht vorwärts. Daß die Arme noch immer leidet, ist wahr; aber gerade in dem allmäligen Abklingen liegt eine Garantie dafür — nach allen Erfahrungen — daß wir vor Recidiven sicher sind.
Von Emma und Storfers herzliche Grüsse sowie von deinem getreuen Victor Adler Eben lese ich, daß in Hamburg starke Cholera ist. Also morgen in Berlin und nächste Woche in Wien! Du kommst als vernünftigerweise jetzt n i c h t!!
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