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Autographen und Unikate

Raritäten aus den Archiven des VGA - Einzigartige Handschriften aus dem Adler-Archiv stellen die Briefwechsel Victor Adler mit Friedrich Engels und Friedrich Adler mit Albert Einstein dar sowie Korrespondenzen aus dem Nachlass Emma Adlers


Victor Adler und Friedrich Engels

Im Sommer 1883 hatte Victor Adler eine mehrmonatige Studienreise durch Deutschland, die Schweiz und England unternommen, um sich auf den von ihm angestrebten Posten eines Gewerbeinspektors vorzubereiten. In seinem Gepäck befand sich ein Empfehlungsschreiben Leo Frankels - des in den 1880er Jahren in Wien lebenden legendären Mitglieds der Pariser Commune - an Friedrich Engels. Über diese erste Begegnung mit Engels ist wenig bekannt, sieht man von der späterhin von Adler immer wieder zitierten Anekdote ab, wonach Engels seinen Plan, Gewerbeinspektor zu werden, geradezu enthusiastisch begrüßte; denn Agitatoren hätte die Bewegung genug, aber niemanden, der den Verwaltungsapparat von Innen her kenne.

Eine enge Freundschaft der beiden datiert erst ab ihrem zweiten Zusammentreffen, das sechs Jahre später nach dem Pariser Gründungskongress der Internationale (Juli 1889) in London stattfand. Von da an entwickelte sich über fünfeinhalb Jahre bis zu Engels' Tod ein überaus intensiver, in Teilen sehr persönlich gehaltener Briefwechsel zwischen "Victor" und dem "General". Nach dem Brüsseler Kongress der Internationale 1891 verbrachten Adler und August Bebel drei Tage bei Engels in London, das nächste Zusammentreffen fand im Sommer 1893 statt, als sich Engels für mehrere Tage in Wien aufhielt. Im Juli 1895 schließlich verbrachte Adler nahezu zwei Wochen am Sterbelager seines Freundes.
Der Briefwechsel fällt in die unmittelbare Konstituierungsphase der österreichischen Sozialdemokratie als demokratische Massenpartei - ein in der Parteien Landschaft qualitativ völlig neues Phänomen: Die Massenpartei formiert sich in einer Atmosphäre der Halblegalität, der Grad ihrer Anerkennung durch die Behörden ist vom jeweiligen Entwicklungsstand ihrer Organisationsstruktur und ihrer symbolischen Präsenz im öffentlichen Raum abhängig. Die Massenmanifestation anlässlich der ersten Maifeier 1890, der Fall von Ausnahmezustand und Sozialistengesetz, die Generalstreikdebatte und die Reform des Kurienwahlrechts sind Eckdaten dieses Prozesses.
Man sei, konnte ein offensichtlich zufriedener Adler bereits am 22. Juni 1891 an Engels schreiben, "von einer Sekte oder eine Horde Radaumacher zu einer politischen Partei avanciert, die Anerkennung sich erzwungen hat, und mit der man rechnet. In letzter Zeit sucht man uns von allen Seiten zu schmeicheln." Stil und Diktion dieses Zitats sind typisch für einen Briefwechsel, der die Formationsperiode der "Politik der Massen" - die für das gesamte 20. Jahrhundert von so zentraler und dramatischer Bedeutung werden sollte - wie wohl kein Zweiter hierzulande kommentiert, analysiert, mit der spezifischen Innensicht bedeutender historischer Akteure anreichert und nicht zuletzt auch immer wieder ironisiert. So etwa, wenn Adler von sich und Engels als "Hofräten der Revolution" spricht, oder von einer Linksopposition, die, wenn man sie nicht hätte, erfunden werden müsste: "Nur würde man sie um eine Nuance gescheiter und anständiger erfinden." Engels seinerseits konnte Adler durchaus zu der brillanten Art gratulieren, wie er "den Generalstrike in Schlummer gewiegt" habe. Einig waren sich beide in ihrer tief empfundenen Abneigung gegenüber dem fortschritts- und modernefeindlichen, so genannten typischen österreichischen Wesen: "Was wir erzielt haben, erreichten wir nur dadurch, dass wir nicht Österreicher sind, oder vielmehr uns als Nichtösterreicher maskierten, dass wir nicht schlampert, nicht flackernd, nicht sprunghaft und schnell ermüdet waren."
Engels ist übrigens der regelmäßigere und verlässlichere Briefschreiber, während Adler meist nur zur Urlaubszeit oder im Gefängnis (es finden sich Briefe aus den Bezirksgerichten Neubau und Rudolfsheim) Zeit findet, ausführlicher zu schreiben. Dann aber tut er dies mit einer eigentümlichen Intensität und sprachlichen Brillanz; die Briefe sind erfüllt von einem permanenten Ringen um Selbsterkenntnis und Selbstverständigung, von Selbstkritik und, hin und wieder, Selbstironie. Gerade dadurch werden sie zu einer unverzichtbaren Quelle für eine Geschichtswissenschaft, die ein Jahrhundert später die tendenzielle Abkehr von der harten Signatur der reinen Faktizität vollzieht und sich zunehmend kulturwissenschaftlichen Fragestellungen widmet. [mehr]

Friedrich Adler und Albert Einstein

Zwei Jahrzehnte nach Engels' Tod und kurz vor seinem eigenen Ableben unternahm Victor Adler einen verzweifelten Lebensrettungsversuch. Indem er auf mögliche schwere hereditäre Belastungen hinwies, versuchte er die Untersuchungsrichter von der psychischen Unzurechnungsfähigkeit seines Sohnes Friedrich zu überzeugen. Dieser hatte im Oktober 1916 den österreichischen Ministerpräsidenten Graf Stürgkh im Hotel MeißI & Schadn ermordet. Sein individualistischer Terrorakt konnte für den Täter aber nur dann Sinn ergeben, wenn er seine Gründe und Motivationen vor Gericht und damit vor der Öffentlichkeit ausführlich darzulegen im Stande sein würde.
Der habilitierte Physiker und überzeugte Verfechter der Theorien Ernst Machs entschloss sich daher, seine Zurechnungsfähigkeit auf seine Art unter Beweis zu stellen. In der Untersuchungshaft im Wiener Landesgericht begann er mit einer theoretischen Studie zur Untermauerung der Mach'schen Thesen und zur Kritik vorgeblicher Inkonsistenzen und Widersprüche in Einsteins spezieller Relativitätstheorie. Seit dem Frühjahr 1917 hatte sich in dieser Frage ein intensiver Briefwechsel zwischen Adler und Einstein entwickelt, der auch während Adlers Strafhaft in Stein bis zum Oktober 1918 fortgesetzt wurde. Zudem hat Einstein eine Ehrenerklärung der Zürcher Physikalischen Gesellschaft zu Gunsten des Angeklagten im Prozess vom Mai 1917 unterstützt und sich in einem direkten Schreiben vom 13. April dieses Jahres als Entlastungszeuge angeboten; es müssten auch "Aussagen beigebracht werden, welche über die Persönlichkeit des Täters Licht verbreiten.“
Adler und Einstein, beide 1879 geboren, kannten einander seit ihren Studientagen an der Universität Zürich. Als 1909 am dortigen Physikalischen Institut ein Extraordinariat für theoretische Physik eingerichtet wurde, sollte dieses mit Friedrich Adler besetzt werden. Der als überaus seriös und gewissenhaft geltende, von den zuständigen Schweizer Kantonalbeamten sehr geschätzte langjährige Dozent und erfolgreiche akademische Lehrer trat von der Bewerbung allerdings zu Gunsten des Beamten am Patentamt in Bern, Albert Einstein, zurück.
Ihr während Adlers Haftzeit zu Problemen der theoretischen Physik geführter Briefwechsel erweist sich nicht nur vor diesem historischen Hintergrund als überaus beeindruckend. Beide bemühen sich, gleichsam abstrahiert von den politischen und sozialen Umständen, um eine streng sachliche, ausschließlich rationalen Kriterien folgende Auseinandersetzung, um eine bewusst völlig gefühlsfreie wissenschaftliche Beziehung im "reinen Sinn". Einstein geht auf die Argumentation Adlers in umfassender Weise ein, weist sie zugleich aber mit großer Bestimmtheit zurück. Abgesehen von einem Interview für die Vossische Zeitung, in dem er Adlers "Objektivität" pries und dessen Argumentation hinsichtlich des Konflikts zwischen seinen und den Theorien Machs weitgehend kritiklos referierte, hat Einstein zu Adlers Leistung als Physiker niemals öffentlich Stellung genommen. In einem persönlichen Brief an Michele Besso vom 29. April 1917 bezeichnete er Adler als "gewissenhaften Denker", der sich mit Erfolg "zur Klarheit durchzuarbeiten suchte." Allerdings reite er "mit der Überzeugung des Propheten" den "Mach'schen Klepper bis zur Erschöpfung." Ein halbes Menschenalter danach, in den 1940er Jahren, sind die beiden wieder auf einander getroffen - in der Emigration in Princeton. [mehr]